In diesem modernen Land Schweiz – wo jedermann stolz ist auf die Bürgerrechte – haben immer noch nicht alle mündigen Personen die gleichen Rechte und Pflichten! Das ist absolut stossend und muss sich ganz schnell ändern!
Schon in der aktuellen Legislaturperiode hat das Parlament sich sehr offen für unsere Anliegen gezeigt. Mit ein Grund dafür ist, es gibt vier offen schwul lebende Parlamentarier in Bern. Es sind dies Ständerat Claude Janiak, SP, Basel-Landschaft; Martin Naef, SP, Zürich; Hans-Peter Portmann, FDP, Zürich und Daniel Stolz, FDP, Basel-Stadt. Konkrete Gesetze hat das Parlament in dieser Legislatur noch keine verabschiedet, doch es sind mehrere Gesetze in Vorbereitung, die grosse Chancen haben, in der nächsten Legislatur verwirklicht zu werden.
Der Walliser Nationalrat Matthias Reynard, SP, hat eine parlamentarische Initiative eingereicht, welche die «sexuelle Orientierung» als expliziter Nichtdiskriminationsgrund in das Gesetz aufnehmen will. Dies als Reaktion auf ein Urteil des Bundesgerichts, das feststellte, das Art. 261bis Homosexuelle als Gruppe nicht schütze, dies sei die klare Absicht des Gesetzgebers.
Der Nationalrat hat am 11. März 2015 der Änderung des Gesetzes zugestimmt. Die Rechtskommission des Ständerats hatte die Änderung abgelehnt, seine Meinung aber nach dem positiven Entscheid im Nationalrat revidiert. Die Standesinitative des Kantons Genf mit ähnlichen Revisionswünschen des Art. 261bis plus einer Änderung der Verfassung, wo man im Art. 8, Absatz 2, ebenfalls «die sexuelle Ausrichtung» einfügen wollte, wurde vom Nationalrat am 11. März 2015 ebenfalls überwiesen, vom Ständerat aber 17. Juni 2015 verworfen. Sie ist damit abgeschrieben.
Der Präsident der Rechtskommission des Ständerates, Stefan Engler, CVP, hat dann in einem Kommentar erklärt, der Artikel 261bis werde wie in der parl. Initiative Reynard revidiert. Dies wurde von den Medien als Zustimmung des Ständerates aufgefasst und so in den Medien verbreitet. Das war aber eine Falschmeldung. Der Rat hat darüber noch nicht befunden. Man darf heute davon ausgehen, das der Ständerat dem Gesetz zustimmen wird. Aber wohl erst in der nächsten Legislatur. Dass das Referendum ergriffen wird, ist unwahrscheinlich.
Das Partnerschaftsgesetz brachte für gleichgeschlechtliche Paare (fast) die gleichen Rechte und Pflichten. Die erleichterte Einbürgerung ist ein Punkt, wo es aber deutliche Unterschiede gibt. Verschiede Vorstösse aus dem Parlament wollen das ändern. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrates hat dazu einen ersten Entwurf ausgearbeitet. Strittig ist, ob es dazu eine Änderung der Bundesverfassung braucht. Es gibt mehrere Rechtsgutachten, die unterschiedliche Meinungen vertreten.
Eine Verfassungsänderung wünscht die LGBTI-Community nicht. Doch es ist wahrscheinlich, dass es trotzdem dazu kommt. «Normale» Einbürgerungen sind Angelegenheiten der Kantone und Gemeinden, erleichterte Einbürgerungen werden von der Eidgenossenschaft geregelt. Die Bundesverfassung regelt den Staatsaufbau und des Verhältnis von Bund und Kantonen. Es ist anzunehmen, dass am Schluss das Parlament sich für eine Verfassungsänderung entscheidet. Der damit zusammenhängende Gesetzesentwurf ist aus der Sicht der LGBTI-Community in Ordnung und bringt die Gleichstellung. Das Geschäft wird wohl in der nächsten Legislatur behandelt und verabschiedet.
Der Bundesrat hat eine Botschaft ausgearbeitet, welche die Stiefkindadoption auch für gleichgeschlechtliche Paare ermöglicht und weitere Gesetzesänderungen im Adoptionsrecht vorsieht. Es gibt von Seiten LGBTI-Community mehrere Kritikpunkte dazu. Doch das Glas ist zu 2/3 voll und bringt die rechtliche Gleichstellung von leiblichen Kindern, die bei gleichgeschlechtlichen Eltern aufwachsen. Wie es hier weiter geht, wird die nächste Legislatur zeigen.
Der Bundesrat hat zum Postulat Jaqueline Fehr Zeitgemässes kohärentes Zivil- und insbesondere Familienrecht einen Bericht vorgelegt. Darin werden verschiede Modelle für die rechtliche Absicherung von Paaren und Familien vorgestellt. DerBerichtist eine informative, anregende gesellschaftspolitische und rechtliche Auslegeordnung, welche den Handlungsbedarf auf vielen Gebieten aufzeigt und damit einen wichtigen Leitfaden für künftige gesetzgeberische Arbeit darstellt.
Im Bericht werden vier Beziehungsformen beleuchtet: die traditionelle Ehe, die eingetragene Partnerschaft, ein PACS à la française und die «faktische Lebensgemeinschaft». Dass Heteros an einer eingetragenen Partnerschaft interessiert sein könnten, ist eher zu bezweifeln. Also könnte als zweite geregelte Beziehungsform ein PACS (auch Ehe-Light genannt) in Frage kommen. Dafür spricht insbesondere, in Frankreich ist diese Beziehungsform sowohl bei gegengeschlechtlichen wie auch bei gleichgeschlechtlichen Paaren sehr populär. Dafür spricht auch, «Scheidungen» von PACS-Paaren sind weitaus weniger häufig als bei traditionellen Ehen. Die «faktische Lebensgemeinschaft» sollte so ausgestaltet werden, dass Kinder bei einem Auseinanderbrechen der Lebensgemeinschaft und bei einen Todesfall auch der/die Lebenspartnerin einen minimalen Schutz erhalten, insbesondere bei Rentenansprüchen und mit Pflichtteilen bei einer Erbschaft sowie deren steuerlichen Begünstigung.
Wichtig ist, dass die gewählten Formen allen Paaren ohne weiteres zugänglich sind, ohne Rücksicht auf die sexuelle Orientierung, Geschlechtsidentität usw. Äusserst positiv an der Sache ist, dass diese Diskussion zu einem allgemeinen gesellschaftspolitischen Diskurs führen wird. Wie es hier weitergeht wird die nächste und wohl auch noch die übernächste Legislatur zeigen.
Die Grünliberale Partei hat am 5. Dezember 2013 eine Parlamentarische Initiative eingereicht, welche die Ehe für alle fordert. «Das Recht auf Ehe, Lebensgemeinschaft und Familie ist gewährleistet. Die gesetzlich geregelten Lebensgemeinschaften stehen Paaren unabhängig von ihrem Geschlecht oder ihrer sexuellen Orientierung offen. Der Bund regelt Erwerb und Verlust der Bürgerrechte durch Abstammung, gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft und Adoption», so der eingereichte Text.
Die Rechtskommission des Nationalrates empfiehlt die Initiative zur Annahme, die Rechtskommission des Ständerates berät darüber am 1. September. Weiter geht es dann in der nächsten Legislatur.
Die Öffnung der Ehe für alle wäre für die LGBTI-Gemeinschaft ein grosser Erfolg. Doch es gibt grosse Widerstände dazu. Zur Illustration, mit was für wohlmeinenden, aber dummen Argumenten wir es zu tun haben, hier ein Vorschlag aus dem Generalsekretariat der CVP:
«Wäre es nicht im Sinne der LGBT-Community, wenn wir in der Schweiz die Ehe für Mann und Frau haben sowie parallel dazu eine zivile Union für heterosexuelle und gleichgeschlechtliche Paare mit genau denselben Rechten wie eine Ehe?»
Der Widerstand von kirchlichen Kreisen gegen die Öffnung der Ehe sitzt tief. Doch in der Schweiz haben wir die Zivilehe seit 1803. Die Ehe ist eine zivilrechtliche gegenseitige Verpflichtung. Wie die Kirchen diese Verpflichtung dann noch mit göttlichem Segen ausstatten, ist deren Entscheidung, hat aber zivilrechtlich keine Wirkung! Und es ist letzteres, was uns alle interessiert.
Zu den fünf oben erwähnten Themen gibt es noch weitere hängige Vorstösse aus dem Parlament. Unter anderem das Postulat Naef, welches einen Bericht zum Recht auf Schutz vor Diskriminierung fordert, die Interpellation Fiala Kohärenz der Schweizer Gesetzgebung und Praxis mit der Resolution des Europarates ‹Discrimination against transgender people in Europe›, das Postulat Caroni Ein Pacs nach Schweizer Art und die beiden Lotionen Portmann Vereinfachung der Zivilstandsbezeichnung und Familiengemeinschaft als neuer Zivilstand.
Die Legislatur 2011–2015 hat viele Vorstösse gebracht, welche die rechtliche Gleichstellung von LGBTI-Menschen in naher Zukunft verwirklichen kann. Wichtig ist, dass es im Parlament uns wohlgesinnte Politikerinnen und Politiker hat. So wählt man am Besten.
Nebst den parlamentarischen Vorstössen und Geschäften gibt es aber auch eine grosse Gefahr, welche die meisten nebenstehenden Vorstösse und Gesetzesinitiativen verunmöglichen würde. Es ist die Volksinitiative der CVP «Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe». Der Titel tönt aufs Erste gut und sympathisch, doch die Initiative will in der Verfassung festschreiben: «Die Ehe ist die auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau». Der Bundesrat und das Parlament empfiehlt die Ablehnung.
Im nächsten Frühling hat das Volk darüber zu befinden. Die Initiative ist mit allen Mitteln zu bekämpfen.
Leider wird es auch so sein, dass die uns wohlgesinnten Vorstösse bis zum Volksentscheid kaum weiter verfolgt werden.